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High Need-Babys – So erkennst du, ob du ein Kind mit besonderen Bedürfnissen hast

Alle Babys sind anstrengend – aber manche übertreffen in ihren Bedürfnissen einfach all ihre Altersgenossen um Längen. Man muss es wohl selbst erlebt haben, um zu erkennen, dass da wirklich ein Unterschied ist zwischen „normalen“ Babys und High Need-Kindern. Diesen Begriff hat Dr. William Sears geprägt, ein kalifornischer Kinderarzt und achtfacher Vater. Bevor sein viertes Kind Hayden auf die Welt kam – das sich als High Need-Baby entpuppte – hatte Dr. Sears selbst geglaubt, dass die Eltern, die in seiner Praxis erschöpft von ihren übermäßig fordernden Kindern berichteten, heillos übertreiben würden. Die Geburt seiner Tochter Hayden öffnete ihm jedoch die Augen.

High Need-Babys haben in allen Bereichen höhere Bedürfnisse als ihre Altersgenossen, scheinen alles viel intensiver zu empfinden. Es fängt damit an, dass sie lauter, dringlicher schreien, schneller überreizt sind und einen hyperaktiv anmutenden Bewegungsdrang haben. Für seine Eltern ist ein solches Baby natürlich eine große Herausforderung. Besonders, wenn es ihr erstes ist, steht schnell die Frage im Raum: Was machen wir falsch, dass unser Kind so anders ist? Gleichzeitig haben Eltern von High Need-Kindern mit Vorurteilen und Ungläubigkeit in ihrer Umgebung zu kämpfen. Sprüche wie „Stellt euch nicht so an, jedes Kind ist nun mal anstrengend“ machen die Not nur noch größer.

Angeregt durch seine Erfahrungen mit seiner Tochter Hayden und die Gespräche mit anderen betroffenen Eltern entwickelte Dr. Sears zwölf Kriterien zur Definition von High Need-Kindern (Originaltext in Englisch: http://www.askdrsears.com/topics/health-concerns/fussy-baby/high-need-baby/12-features-high-need-baby). Daran kannst auch du erkennen, ob du ein High Need-Baby hast – und wie du dich auf seine Bedürfnisse einstellen kannst:

1. Intensiv – Vom ersten Moment an fordert es dich

High Need-Babys stecken mehr Energie in alles, was sie tun. Sie schreien lauter, trinken mit Heißhunger, lachen mit Begeisterung und protestieren heftiger, wenn ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Aus intensiven Babys werden intensive Kleinkinder. Sie scheinen die ganze Zeit unter Hochdruck zu stehen. Bei ihren Entdeckungstouren im Haus ist nichts vor ihnen sicher, Hindernisse scheinen für sie nicht zu existieren. Was du tun kannst: Hilf' deinem Krabbelkind dabei, sich vorsichtiger zu bewegen und bereite ihm Strecken, die es bewältigen kann.

2. Hyperaktiv – Dein Baby steht unter Strom

Sowohl die Muskeln als auch das Gemüt eines High Need-Babys sind selten entspannt. Ständig ist es in Bewegung. Das Wickeln wird für alle Beteiligten zur Qual, das Stillen zur schweißtreibenden Gymnastik. Den Begriff „hyperaktiv“ verwendet Dr. Sears hier betont vorsichtig und definiert ihn nicht als eine Störung, sondern als eine reine Beschreibung. Auch mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom) hat dies nichts zu tun. Dr. Sears' Trost: „Es mag von Zeit zu Zeit hart sein, mit einem hyperaktiven Kind umzugehen, aber diese Ruhelosigkeit ist nicht zwingend eine negative Eigenschaft. Einige hochkreative Menschen, die die Welt verändert haben, wurden in bestimmten Kindheitsphasen als hyperaktiv bezeichnet.“

3. Aufzehrend – All deine Energie fließt ins Kind

High Need-Babys quetschen noch das kleinste Fitzelchen Energie aus ihren müden Eltern heraus – und wollen noch mehr. Wenn du dein High Need-Baby permanent tragen und trösten musst, bleibt wenig Energie für dich übrig. Was Dr. Sears empfiehlt: An den anstrengendsten Tagen solltest du dir zugestehen, nur noch auf Sparflamme zu funktionieren. Er nennt das den Rückzug in die „mother zone“. Anstatt dir selbst leid zu tun, dass du nicht genug Schlaf bekommen hast, erwarte an dem Tag nicht zu viel von dir. Andere Aufgaben können warten, dein Baby kann es nicht. Und gerade dann, wenn du denkst, dass du keine Kraft mehr für einen weiteren Tag hast, wird sich das Baby ein bisschen zurücknehmen. Es ist, als ob es die Belastungsgrenze der Mutter spüren würde.

4. Häufiges Füttern – Mama als menschlicher Schnuller

Das Wort „Zeitplan“ existiert im Vokabular eines High Need-Babys nicht. Früh lernen die Kleinen, dass die Brust oder Flasche nicht nur eine Nahrungsquelle ist, sondern auch eine Quelle der Beruhigung. „Es will die ganze Zeit gestillt werden“, ist ein Satz, den Dr. Sears immer wieder hörte. „Go with the flow“, ist sein Rat – denn bei einem High Need-Baby ist keinerlei Still-Schema erkennbar oder durchführbar. High Need-Babys werden nicht nur häufiger gefüttert; ihr Bedarf, gestillt zu werden, hält auch länger an – bei manchen bis zu zwei Jahre.

5. Fordernd – Ein lautstarker Wille

Wenn High-Need-Babys gehalten, gefüttert oder ein Spielzeug bekommen möchten, fordern sie es lautstark. Mehr als alle anderen Merkmale bringt diese Eigenschaft seine Eltern oft zur Rage. Denn es sorgt dafür, dass sie sich manipuliert und kontrolliert fühlen. Man sollte die Forderungen des Babys jedoch einfach als seine Art der Kommunikation begreifen. Für das Baby ist es wichtig, seine starken Bedürfnisse mit seiner starken Persönlichkeit einzufordern, damit es entsprechend versorgt werden und gedeihen kann. Wenn das High Need-Kind heranwächst, müssen seine Eltern ihm dabei helfen, zu lernen, dass seine Forderungen gegen die Bedürfnisse von anderen ausbalanciert werden müssen.

6. Wacht häufig auf – Die Nacht wird zum Tag

Man müsste eigentlich annehmen, dass High-Need-Babys mehr Schlaf brauchen würden, aber das ist leider nur bei ihren müden Eltern der Fall. Es gibt fünf Gründe, warum High Need-Babys schlecht schlafen: 1. ihr unterschiedliches Temperament (Angespanntheit, Ruhelosigkeit); 2. Unterschiedliche Reizschwelle (die Fähigkeit, störende Sinnesreize auszublocken, ist bei High Need-Kindern sehr gering); 3. Schwierigkeiten mit „Übergängen“ (High Need-Babys müssen erst tief schlafen, bevor du sie hinlegen kannst), 4. Unterschiedliche Schlaf-Reife (High Need-Babys wachen leichter an den Schnittstellen zwischen den Schlafphasen auf); 5. Unterschiedliche nächtliche Bedürfnisse (Verlangen nach konstantem körperlichen Kontakt und die Unfähigkeit, sich selbst zu beruhigen).

7. Unzufrieden – Schwierige Suche nach Babys Glück

Es kann sehr frustrierend sein, es nicht zu schaffen, die Bedürfnisse eines High Need-Babys zu befriedigen. Es wird Tage geben, an denen du es wiegst, hältst, fährst, trägst und einfach jede Wohlfühltechnik an ihm ausprobierst – und nichts wird funktionieren. Nimm' das nicht als ein Zeichen deines Versagens und experimentiere weiter. Schließlich wirst du entdecken, dass irgendwann einer deiner Versuche klappt – zumindest für den Moment. 

8. Unvorhersehbar – So bleibt das Leben spannend

Leider ist es ebenso frustrierend, wenn man feststellen muss, dass der tolle Beruhigungstrick von gestern heute nicht mehr klappt. Du wirst also eine ganze Wunderkiste voller Ideen brauchen. Zusammen mit ihrer Unvorhersehbarkeit weisen High Need-Kinder starke Stimmungensschwankungen auf. Zwischen Freude und Ärger scheint es keine „mittlere“ Emotion zu geben. „Wir haben die Theorie, dass bestimmte Typen von Kindern in Familien auftauchen, die spezielle Bereiche haben, in denen sie selbst wachsen müssen“, so Dr. Sears zu diesem Phänomen.  Als Hayden zur Welt kam, war das Leben seiner Familie in einem Stadium der Gleichförmigkeit und Vorhersehbarkeit angekommen. Wäre Hayden nicht gewesen, wäre vielleicht sogar eine gewisse Stagnation eingekehrt. Aus dieser Warte betrachtet, war das Wesen ihrer Neugeborenen ein Segen für sie.

9. Supersensibel – Tiefes Wahrnehmungsempfinden

High Need-Babys bevorzugen eine sichere und bekannte Umgebung, und sie sind schnell dabei, zu protestieren, wenn ihr inneres Gleichgewicht aus der Bahn gerät. Obwohl nervenaufreibend für deine Ohren, sind hypersensible Babys immerhin leicht zu „lesen“. Sie lassen es dich wissen, wenn sie Hilfe brauchen oder wenn etwas in ihrer Umgebung geändert werden sollte. Seine Sensibilität in Bezug auf seine Umgebung kann von hohem Wert sein, wenn ein High Need-Kind heranwächst. Seine tiefe Wahrnehmung regt seine Neugier an, was wiederum die Lernfähigkeit und die Entwicklung von Empathie fördert.

10. Es lässt sich nicht hinlegen – Körperkontakt ist alles

High Need-Babys erflehen Berührung: Hautkontakt in deinen Armen, an deiner Brust, in deinem Bett. Sie wollen außerdem Bewegung. Halten ist nicht genug; der Halter muss in Bewegung bleiben. Wenn er sich hinsetzen will, sollte das am besten auf etwas sein, das wippt, gleitet oder schaukelt. Allerdings gibt es auch unverschmuste High Need-Babys, die mit Körperkontakt wenig anfangen können. Dies dürfen seine Eltern keinesfalls persönlich nehmen. Diese Babys brauchen mehr Zeit, um mit körperlichem Kontakt warm zu werden und schaffen das mit einfühlsamer Hilfe ihrer Eltern auch.

11. Es kann sich nicht selbst beruhigen – Eltern als „Sandmännchen“

Es ist eine unrealistische Erwartung, die gerade junge Eltern oft haben: dass sich Babys mit Hilfe eines Schnullers, einer Musikbox oder sonstigen Beruhigungs-Gadgets selbst beruhigen und einschlafen können. High Need-Babys sind smarter: Sie wollen mit Leuten interagieren, nicht mit Dingen. Sie brauchen im jedem Fall deine Unterstützung dabei, einzuschlafen. Und sie müssen lernen, ihren Eltern dabei zu vertrauen, ihnen zu helfen. So können sie lernen, von sich aus zu entspannen; eine Fähigkeit, die Wert für ihr ganzes Leben hat.

12. Einfühlsame Trennung

High Need-Babys akzeptieren keine Ersatzbetreuer und werden nur langsam mit Fremden warm. Die Suche nach einem Babysitter scheint nahezu aussichtslos. Es hilft, das Thema „Trennung“ aus Sicht des Babys zu betrachten. Für die meisten Erwachsenen, besonders für jene, die die Ansicht vertreten, dass Babys lernen müssen, unabhängig zu sein, sollten Baby und Mutter separate Personen sein. Babys sehen das nicht so. Für sie ist die Mutter ein Teil ihrer selbst und sie sind ein Teil der Mutter. Sie sind ängstlich, wenn sie nicht mit der Mutter zusammen sind. Erwachsene betiteln dieses normale Verhalten als „Trennungsangst“. In Wirklichkeit sind diese Emotionen normale Gefühle einer kleinen Person, die weiß, dass sie die Präsenz der Mutter braucht, um zu gedeihen. Ein High Need-Baby ist sehr wählerisch in der Frage, wer sich um es kümmern darf. Das spricht für sein großes Urteilsvermögen: High Need-Babys wissen, welchen Situationen und Personen sie trauen können, ihre Bedürfnisse zu erfüllen, und sie protestieren, wenn ihren Erwartungen nicht entsprochen wird.

Fazit: Eltern von High Need-Babys wird sehr viel abverlangt. Besonders, wenn es für die Eltern das erste Kind ist, fehlt ihnen der Vergleich, was noch als „normales“ Verhalten eines Babys gilt und was extrem ist. Daher ist es wichtig für sie, sich mit anderen Betroffen auszutauschen, sich Rat und Hilfe zu holen – anstatt bei sich selbst eine Schuld zu suchen.  

Diese zwei Blogs bieten authentische Erfahrungsberichte und sind eine hilfreiche und ermutigende Lektüre für Eltern von High Need-Babys:

– „Geborgen Wachsen – Der Blog über (m)einen bindungsorientierten Weg“ (https://geborgen-wachsen.de/). Hier berichtet die Kleinkindpädagogin und 3-fache Mutter Susanne Mierau aus dem Alltag mit ihrem Jüngsten, ein High Need-Kind. „Es war auch für mich ein harter Weg zu erkennen, dass ich – egal wie sehr ich stillte, trug, im Bett schlafen ließ, auf Signale achtetet – nichts daran ändern konnte, dass dieses Kind eben so ist, wie es ist“, schreibt sie. „Ich habe gelernt, es anzunehmen. Es war eine nicht einfache Zeit, denn sie rüttelte auch ein wenig an meinen Vorstellungen mit dem Gedanken: Aber es muss doch irgendwas geben, dass… Es gab nichts außer der Zeit und dem Verstehen und Annehmen.“ (Link zum Artikel: https://geborgen-wachsen.de/2015/12/19/attachment_parenting_high_need_kinder/)

 

– „2kindchaos – Das Eltern Blogazin“ (http://www.2kindchaos.com/). Die zweifache Mama Frida Mercury schreibt regelmäßig über das Leben mit ihrer High Need-Tochter Peanut. „High Need sollte nicht als Störung empfunden werden, und das ist es natürlich auch nicht, denn es ist angeboren. Es ist ein anderes Temperament, und als das sollte es auch aufgefasst werden“, so Frida. „Leider passen High Need Kinder nicht so gut in unsere Gesellschaft, oder sollte ich Kultur sagen – und da werden wir als Eltern gefragt, sie zu schützen und ihre Bedürfnisse zu sichern.“ (Link zum Beitrag: http://www.2kindchaos.com/high-need/12-kriterien-high-need-dr-sears)