Wie geht es eigentlich Familien, in denen das Kind über eine Samenspende gezeugt wurde? „Samenspende ist nicht nur eine Behandlungsmethode – sondern ein bleibendes Familienthema.“ (Claudia Brügge, Vorstand des Vereins "DI-Netz E.V." ) Das bedeutet, dass es für alle Familienmitglieder mitunter ein schwieriges Thema sein könnte. Auf den Kinderwunschtagen in Berlin gab es dazu einen spannenden Vortrag.
Familiengründung zu dritt
Ein Kind mit Hilfe von Samenspende zu bekommen, bedeutet immer eine "Familiengründung zu dritt" und nicht bloß die Erfüllung des Kinderwunsches. „Die Bezeichnung „Familiengründung zu dritt“ soll deutlich machen, dass ab der Entscheidung für diese Form der Familiengründung drei Erwachsene beteiligt sind – das Paar mit Kinderwunsch und der Spender als biologischer Vater des Kindes.“ (C. Brügge) Was das für die Konstellation und die Familiendynamik bedeutet, kann sich unterschiedlich auswirken. Aus Sicht der Psychologie ist es eine lebenslange Herausforderung für alle Beteiligten – denn der biologische Vater spielt im Leben des Kindes eine existentielle Rolle und das wirkt sich natürlich auch auf die Beziehung zur Mutter, den sozialen Vater und die sozialen Beziehungen untereinander aus.
Die verschiedenen Rollen in der "3er Konstellation"
- Die Rolle des sozialen Vaters: Wenn ein Mann unfruchtbar ist, ist es eine sehr schwierige Situation für ihn, denn er muss sich von seinem biologischen Kinderwunsch verabschieden – das kann vielfältige negative Gefühle auslösen – von Wut über Trauer, manchmal spielt auch Scham eine Rolle, dass der Mann nichts zum Erbgut beisteuern kann. "Zeugungsfähigkeit ist für viele Männer außerdem eng mit ihrer männlichen Identität verbunden. Dabei wird Zeugungsfähigkeit traditionell mit Potenz = Macht, Stärke assoziiert und damit mit zentralen Attributen der männlichen Geschlechterrolle." ( spenderkinder.de) Ebenfalls schwierig kann es werden, wenn die Frau einen besonders guten „Draht“ zum Samenspender aufrecht erhält – hier kann sich der Vater schnell zurückgewiesen bzw. ausgeschlossen fühlen.
- Die Rolle des biologischen Vaters: Der biologische Vater hat ungewollt eine mächtige Außenseiterposition: er hat die begehrte Ressource, die der soziale Vater nicht hat: befruchtungsfähige Spermien. "Nebenbei erhält er eine stabile durch die Biologie begründete Verbindung mit dem Kind, ohne dass hiermit Verpflichtungen verbunden sind." so Brügge. Diese Position kann viel Neid auslösen bei dem sozialen und unfruchbaren Vater.
- Die Rolle der Mutter: Der genetische / biologische Mutter hat eine natürliche Verbindung zum Kind – dadurch kann ein Ungleichgewicht zum sozialen Vater entstehen. "Das kann zu Spannungen der Eltern untereinander führen. Die Mutter ist durch ihre Doppelbindung in einer mächtigeren Position, als der soziale Vater, ihre Verbindung zum Kind ist garantiert."erklärt Brügge. So können aber auch Schuldgefühle bei der Mutter entstehen, wenn zum Beispiel ihr Kinderwunsch dominanter war als beim sozialen Vater. Der Vater kann auch Gefühle von Neid und Wut auf die Mutter bekommen.
- Die Rolle des Kindes: Das Kind ist in einer recht "schwierigen Mittelposition. Es steht vor der Aufgabe, allen biologischen und sozialen Elternteilen einen Platz einzuräumen, weil alle zu seinem Familiensystem dazugehören." konstatiert Brügge. Die Prioritäten können sich beim Kind ganz verschieden ausprägen, es kann zum Beispiel irgendwann später dem Spendervater mehr Interesse zukommen lassen, indem es zum Beispiel wissen möchte, wer sein leiblicher Vater ist und wer zum Beispiel seine Halbgeschwister sind. Was auch schwierig sein könnte: Es spürt den Wunsch des sozialen Vaters, ihm Vater zu sein, verbunden mit dem Wunsch an das Kind, es möge ihn als Vater akzeptieren. Der Vater wird dadurch bedürftig gegenüber dem Kind." weiß Brügge. Diese Bedürftigkeit kann das Kind unbewusst spüren – was wiederum zu weiteren Schwierigekeiten in der Vater- Kind-Bindung führen kann.
„Parentisierung“ in der Familie
Der Begriff Parentisierung bezeichnet eine Rollenvertauschung innerhalb der Familiendynamik, als Konsequenz für das Kind. Das bedeutet, dass die Kinder sich unbewusst um ihre Eltern „kümmern“ bzw es ihnen versuchen, Recht zu machen, weil sie spüren, welch große Erwartung auf ihnen lastet. Diese Dynamik der vertauschten Rollen kann sehr häufig da stattfinden, wo sich Eltern mit einer Samenspende ihren großen Wunsch nach einem eigenen Kind erfüllen.
Fuermamas tipp: Diese Herausforderungen werden am besten innerhalb einer kindgerechten Beratung gemeistert. Hilfe und Unterstützung bietet beispielsweise die Seite spenderkinder.de .Des Weiteren rät Claudia Brügge, Vorstand des Vereins, sich anzuschauen, was alles zur Normalisierung des Alltags beiträgt, genauso was die Belastungsfaktoren in der eigenen Familie sind. Was kann das bei euch im Alltag sein? Es können ganz kleine Gesten sein, die aber das Gefüge nachhaltig stärken.